Investitionstreiber Bildung- Interview mit Wolf Lotter

Bildungssysteme und Qualifizierungsmaßnahmen können mit der digitalen Transformation nur Schritt halten, wenn sie sich strukturell ändern – so sieht es der Autor und Journalist Wolf Lotter. Im Interview erklärt er seine Sicht auf das Thema und wie Aus- und Weiterbildung in Unternehmen Innovationstreiber werden können.

PVH Magazin: Ein Thema, das für die gesamte Gesellschaft von Bedeutung ist: die digitale Transformation. Nehmen unsere Bildungssysteme die damit verbundenen Veränderungen auf?

Wolf Lotter: Leider nein. Unsere Bildungssysteme reagieren nicht, sondern agieren statisch und behalten ihre bisherigen Strukturen bei. Das ist sicher eine Frage der Kosten, aber auch der Kultur. In der Ausund Weiterbildung wird offenbar nicht erkannt, wie wichtig es ist, Menschen für die Teilnahme an einer modernen Wissenscommunity vorzubereiten und dazu ihre individuellen Stärken zu fördern.

Die digitale Transformation ist eine gewaltige Automatisierungsveränderung und verlangt uns einiges ab. Schon seit der Industrialisierung übernehmen Maschinen und später auch Automaten einzelne Arbeiten in der Produktion. Und seither hat sich in unseren Bildungssystemen wenig verändert. Das ist ein Problem, denn durch die Digitalisierung wird die Automatisierung allgegenwärtig sein, und KI wird sämtliche Routinearbeiten übernehmen.

Was bleibt uns dann an Arbeit? In erster Linie alles, was nicht nach Regeln und Schema F erarbeitet wird, wie etwa Projekte, einmalige spezielle Anlagen entwerfen und so weiter. Dazu sind persönliche Fähigkeiten wie Kreativität, Entscheidungskompetenz und Kommunikationsfähigkeit notwendig. Die Bildungssysteme sollten längst Antworten entwickelt haben.

» Qualifikation ist sehr viel mehr, als fortlaufend das Fachwissen zu erweitern «

Welche Antworten wären das und was bedeuten sie für die betriebliche Qualifikation?

In Unternehmen ist der Begriff vom „lebenslangen Lernen“ altbekannt ebenso wie die Tatsache, dass die Chancen, auf dem Markt zu bestehen, ohne permanentes Lernen immer geringer werden. Aber mit der gegenwärtigen Transformation heißt Qualifikation eben sehr viel mehr, als fortlaufend das Fachwissen zu erweitern.

» Wir sollten den alten Begriff der Meisterschaft wiederbeleben «

Technologisches Fachwissen hat heute eine geringe Halbwertzeit, und Berufsbilder verändern sich in rasanter Geschwindigkeit. Fachliche Expertise aufzubauen, bleibt natürlich weiterhin relevant. In der Aus- und Weiterbildung muss aber berücksichtig werden, dass diese Expertise von einer ganzen Reihe persönlicher Fähigkeiten getrieben ist. Fachwissen muss nicht nur einmal angelernt, sondern in kurzen Zeitabständen erneuert werden können, das heißt, Lernfähigkeit, Entscheidungskompetenzen, kreatives und vernetztes Denken, lösungsorientiertes Agieren und nicht zuletzt kommunikatives Können sollten auf der Agenda stehen.

Ein Bündel an persönlichen Fähigkeiten, die weit über das reine Fachwissen hinausgehen. In einer hochkompetitiven Welt mit globalen und monopolisierten Märkten braucht es Bildungssysteme, die auf diese Komplexität eingehen. Sie sollten spiegeln, dass einzelne Fachgebiete nicht mehr nebeneinander, sondern nurmehr miteinander funktionieren. Die herkömmlichen Wissens-Silos haben ausgedient.

Was tut ein Unternehmer im praktischen Sinne, wenn er auf diesem Hintergrund bisherige Aus- und Weiterbildungsprogramme infrage stellt?

Ich antworte auf die Frage mit dem, was ein Unternehmer nicht tun sollte: den einfachsten Weg einschlagen. Er sollte auf die digitale Transformation nicht mit Kursen und einem Coach, der technische Fertigkeiten beibringt, reagieren. Denn wird der Kurs beendet sein, ist die Technologie schon wieder überholt. Aber auch in der Bildung sind wir zu Abholern geworden. Statt fertige Regelwerke und Kurse anzubieten, sollten wir fragen, wie eigenständiges Denken gefördert werden kann.

Ein Unternehmer sollte selbstkritisch hinschauen, die Märkte beobachten, Routinearbeiten automatisieren, individuelles und kreatives Arbeiten fördern. Er sollte Fortbildung in einem umfassenden Sinne verstehen und in das selbstständige Arbeiten seiner Mitarbeitenden investieren. Denn viele Arbeiten, selbst das Programmieren, werden überflüssig werden. Im Gegensatz zum Denken, unternehmerischen Handeln und zu innovativen Ideen.

Wissensökonomie ist ein Schlüssel. Geld wird heute nicht mehr mit industriellen Fertigkeiten und Massenproduktion verdient, sondern mit Wissen und Können. Wir sollten den alten Begriff der „Meisterschaft“ wiederbeleben. Dabei ging es früher nie um starre Regeln und eine festgelegte Ausbildung, sondern um die Entwicklung persönlicher Fähigkeiten. Diese alte Meisterschaft hat der deutschen Wirtschaft in der Vergangenheit ihre Innovationskraft gebracht.

Selbstständiges Arbeiten, unternehmerisches Handeln – klingt das nicht weniger nach Qualifizierungsmaßnahme als viel mehr nach kulturellem Wandel?

Genauso ist es – und in vielen Unternehmen wurde längst verstanden, dass es diesen kulturellen Wandel braucht, um in einer modernen Wissensgesellschaft erfolgreich sein zu können.

» Herkömmliche Wissens-Silos haben ausgedient «

Innovationskraft und geschäftlicher Erfolg sind nicht nur von einer Führungspersönlichkeit abhängig. Ein Unternehmen braucht viele Unternehmer und Unternehmerinnen, sprich Mitarbeitende, die mitdenken, kritisch hinterfragen und Entscheidungen treffen dürfen. In einer Organisation sollten Standpunkte immer wieder neu verhandelt werden, ein gemeinsamer Modus und gemeinsame Ziele definiert werden, aber innerhalb dieses Rahmens sollte jeder tun, was er am besten kann. Das heißt, Führungskräfte werden diesen Rahmen schaffen und Mitarbeitende befähigen müssen, darin zu agieren.

Wolf Lotter

ist Autor und Journalist mit dem Schwerpunkt Transformation und Innovation. Mit seinen Publikationen macht er Themen, die unsere Wirtschaft und Gesellschaft transformieren, verständlich: Arbeitskultur und Wechselwirkungen von Digitalisierung, Automatisierung und Wissensarbeit in Netzwerkorganisationen. Wolf Lotter ist seit Jahrzehnten ein gefragter Keynote-Sprecher und häufig zu Gast in Podcasts und Radiosendungen. Seit 2022 ist er zudem Mitglied im Publikumsrat des ORF. (Foto: Katharina Lotter)

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